Hilfsfrist muss sich an medizinischer Notwendigkeit orientieren
Die Hilfsorganisationen, Krankenkassen und der Landkreistag in Baden-Württemberg blicken mit Sorge auf die Diskussion rund um die aktuelle Rechtsprechung zum Rettungsdienst. Entscheidend für einen handlungsfähigen, modernen Rettungsdienst ist eine Orientierung der Regelungen einschließlich der Hilfsfristen an den individuellen medizinischen Notwendigkeiten der Patienten. Anstelle einer überholten Gleichbewertung aller Einsätze sollte die Schwere des Notfalls als zentraler Maßstab einer zeitgemäßen Regelung der Hilfsfrist herangezogen werden.
Unser zentrales Anliegen an die Neufassung des Rettungsdienstgesetzes ist die Differenzierung zwischen unterschiedlichen Diagnosegruppen anhand der medizinischen Notwendigkeit und eine unterschiedliche Bemessung der Hilfsfrist anhand dieser Diagnosegruppen. Wir möchten das Innenministerium darin unterstützen, an dem eingeschlagenen Weg der Novellierung des Rettungsdienstgesetzes festzuhalten und ermutigen den Landtag, dieses zeitnah zu verabschieden.
Organisationsübergreifend und in ganz Deutschland fehlen Fachkräfte – auch dem Rettungsdienst. Zudem stoßen die Ausbildungskapazitäten an ihre Grenzen. Hinzu kommt, dass ausgebildete Notfallsanitäter zwischenzeitlich auch gefragte Fachkräfte abseits der Notfallrettung sind. Nicht zuletzt der Renteneintritt der Generation der Babyboomer wird den Personalmangel in den kommenden Jahren weiter verschärfen.
Das Einsatzaufkommen der Notfallrettung hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Hierbei fällt auf, dass nicht nur die Anzahl der „echten“ Notfalleinsätze, bei denen eine akute Lebensgefahr besteht, angestiegen ist. Vor allem haben auch diejenigen Einsätze zugenommen, bei denen letztlich keine akute Lebensgefahr und in vielen Fällen auch gar kein Transport durch den Rettungsdienst erforderlich war. Mit dem Wissen um diese Entwicklung bedarf es nunmehr der richtigen und passgenauen Antworten.
Jedem Patienten muss angemessen geholfen werden. Um den heutigen Anforderungen an die Notfallrettung gerecht zu werden, gibt es durchaus intelligente Konzepte. Das veraltete System einer starren Hilfsfrist über alle Diagnosegruppen hinweg gehört jedoch nicht dazu. Ein gebrochener Arm kann und muss in einer anderen Frist medizinisch versorgt werden, als dies beispielsweise bei einem Patienten mit Herzstillstand der Fall ist.
Schon heute differenziert das System der Notfallrettung zwischen dringenden und nicht dringenden Einsätzen: mit sogenanntem Sondersignal oder ohne. Die Entscheidung über die Eilbedürftigkeit obliegt dabei den Disponenten in den Leitstellen. Einsätze ohne Sondersignal und damit eine Vielzahl von niedrigschwelligen Einsätzen einer strengen Hilfsfrist zu unterwerfen, wäre in der Sache schlicht nicht zielführend.
Wir setzen uns dafür ein, dass zukünftig allen Patienten in der für ihre Diagnosegruppe adäquaten Zeit geholfen wird. Dies gilt insbesondere bei Notfällen, in denen ganz akut höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden. Hierbei sollten alle verfügbaren Systeme zum Einsatz kommen, um Patienten in kürzester Zeit Hilfe leisten zu können. Neben Rettungswagen und notarztbesetzten Fahrzeugen des Rettungsdienstes können auch die Helfer-Vor-Ort-Systeme und die App-basierten Ersthelfersysteme zusätzlich einbezogen werden. AM KIT in Karlsruhe läuft bereits ein Forschungsprojekt, welches vom Land gefördert und von Fachleuten begleitet wird. Das Forschungsprojekt beschäftigt sich intensiv mit der Ausgestaltung und Umsetzung von Diagnosegruppen. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse sollten einbezogen werden.
Perspektivisch ist es zudem zwingend notwendig, auch die Notfallversorgung sektorübergreifend zu planen. Neben dem Rettungsdienst sind dabei die ambulanten und stationären Notfallkapazitäten der niedergelassenen Ärzte und der Krankenhäuser zu berücksichtigen und zusätzlich der Zugang der Hilfesuchenden über die Integrierten Leitstellen zentral zu steuern.